#reisen
Veröffentlicht: 31.01.2023
Autor: Lukas Hörz
Icon Hochtouren

Expeditionstraining in der Hardangervidda

mit Ski und Schlitten im Winter durch Norwegen

Irgendwann beginnt man sich Träume zu erfüllen. Ein Traum von Rüdiger war es immer, mit einer Pulka durch den hohen Norden zu ziehen. Also war das nach Gletscherwanderung, diversen Radtouren und Mehrtageswanderungen die nächste Tour, die wir zu dritt machen wollten.

Rüdiger, Stephan und ich kennen uns seit der Schulzeit und haben schon immer exotische Reisen inklusive Radweltreisen gemacht. Mal zusammen, meist mit anderen ReisepartnerInnen – uns aber nie aus den Augen verloren.

Im Alter wird man dann ruhiger, aber die Lust auf Ungewöhnliches und Abenteuer bleibt.

Auch andere Menschen hatten die Idee zu einem herausfordernden Abenteuer im Winter auf der Hardangervidda: vier Frauen. Wir fürchteten, dass es vier junge, ultrafitte Frauen sein werden, denen wir als alte Männer hinterherlaufen müssen. Zum Glück brachten wir die notwendige Fitness mit, um die Altersdifferenz auszugleichen.

Letzte Vorbereitungen & Tourbeginn

So treffen wir uns in Oslo am Flughafen mit viel Gepäck inklusive dreier Pulkas, die wir mit nach Finse nehmen. Vorher wird in Oslo eingekauft und etwas gegessen. Mit dem Zug fahren wir nach Finse, einem Ort, zu dem keine Straße führt.

Wir übernachten in dem geschichtsträchtigen Hotel, dass nur wenige Meter vom Bahnsteig entfernt liegt. Abends gibt es natürlich ein zünftiges Bierchen, was in Norwegen immer mit zehn Euro zu Buche schlägt, sei es im Hotel aus dem Zapfhahn oder draußen in einer Hütte aus der Dose. Am Sonntag geht es los mit der Schulung in Navigationstechnik und der Einweisung in Benzinkocher, Pulka, und der norwegischen Fjellski. Mit den Fjellskiern war noch niemand von uns unterwegs. Die passenden Schuhe leihen wir uns direkt nebenan im Bahnhofsgebäude aus.

Die Pulkas werden noch am gleichen Tag beladen: Kocher, Zelte, Schaufeln, die eigenen Klamotten mit Schlafsäcken, Isomatten und allem, was irgendwie wärmt. Dazu füllt Hans, unser Expeditionsleiter und Geschäftsführer von Alpine Welten, die Pulkas mit der Expeditionsnahrung und kleinen Leckereien für unterwegs auf. Keiner stellt seinen persönlichen „Anhänger“ auf die Waage, es werden aber so 25-30 kg zusammenkommen.

Am Nachmittag ziehen wir zu acht aus dem kleinen Örtchen hinaus. Wir gehen etwa vier Kilometer, bis Hans einen schönen Platz identifiziert. Dort zeigt er uns, wie man die Zelte auf- und abbaut und welche Tricks es gibt, wenn man auf Schnee zeltet. Wir drei sind mit Wintertouren nicht unbeleckt, trotzdem erhalten wir schon am ersten Abend zahlreiche neue Tipps. Super.

Wir schmelzen das erste Mal Schnee, essen unsere Expeditionsnahrung aus der Tüte und richten uns in den Zelten ein. Die Nacht wird etwa -14°C kalt, so dass die Schuhe morgens schon ordentlich gefroren sind. Die möglichen -30°C in dieser Gegend erreichen wir zum Glück nicht. Auch das Frühstück gibt es aus der Tüte: fertiges Müsli, auf das man nur Wasser gießen muss. Ich schütte kühlen Tee auf das Müsli, denn Müsli mit warmem Wasser ist dann doch nicht so meins.

Der Zeltabbau funktioniert erstaunlich schnell, die Tricks von gestern waren hilfreich. Los geht es in die beeindruckende Natur der Hardangervidda. Hügelig, von zugefrorenem und von Schnee bedeckten See zu See, Einsamkeit und weite Schneeflächen.

An die Benutzung der Pulkas müssen wir uns erst gewöhnen. Berghoch ist es gar nicht so schwer wie erwartet, man merkt sie nur bei den sehr steilen Bergen, bergrunter sind sie aber eigentlich immer zu schnell und irgendwie verheddern wir uns häufig mit der Pulka und landen oft im Schnee. Irgendwann haben es die meisten raus, wie man das Pulka richtig steuert. Wenn frischer Schnee fällt und der Himmel grau ist, wird es trotzdem schwierig, denn man kann die Unebenheiten im Boden oftmals nicht mehr sehen.

Heute ist außerdem ein sehr steiler Berg zu bezwingen. Dazu schnallen wir die Skier ab, befestigen sie auf dem Pulka, und gehen zu Fuß nach oben. Die Gruppe zieht sich oft auseinander, weil die ersten schnell hinunterfahren, die anderen sich möglicherweise dreimal wieder aus dem Schnee befreien müssen. Es macht viel Spaß, so unterwegs zu sein. Wo wir abends unser Lager aufschlagen, ist vorher nicht klar, weil es immer davon abhängig ist, wie weit wir kommen. Heute Abend sind wir in der Nähe der Kraekkjahütte angekommen und schlagen unser Camp unweit der bewirtschafteten Hütte auf. Das hat einen entscheidenden Vorteil: nachdem wir den Schnee für den nächsten Tag geschmolzen und zum Abendessen den Rentierstew aufgekocht haben, gehen wir auf ein kühles Getränk in die Hütte. Herrlich, so können wir gute Gespräche in einem erwärmten Raum führen. Trotzdem geht es natürlich wieder in die Zelte zurück und wir genießen die zweite Nacht draußen in der Kälte.

Am zweiten Tag ist der Himmel meist bedeckt und wir können nur wenig sehen, während wir unsere Pulkas über die Seen ziehen. Bei der Navigation hilft uns, dass die erste Teilstrecke durch kleine Äste im Boden als Skiwanderroute markiert wurde. Darauf kann man sich zwar nicht immer verlassen, aber im Wesentlichen beschreibt sie unsere Strecke.

Zwischendurch reißt der Himmel manchmal auf, und man kann einen Blick in die sagenhafte Landschaft werfen. Der Wind nimmt zu und wird sich in den nächsten Tagen noch deutlich steigern. Der Zeltplatz nach etwa 24 Kilometern liegt am Rande eines gefrorenen Sees. Hier müssen wir tatsächlich schon eine Stelle mit tiefem Schnee suchen, weil der Wind den Schnee oft auf den Anhöhen bis zur Grasnarbe wegweht.

Am dritten Tag geht es einen langen Berg hoch und es wird richtig stürmisch. Der Schnee wird über den Boden getrieben, wie man es vom Sand in den Dünen kennt. Unglaublich beeindruckende Szenerie, als wir einen zugefrorenen Fluss entlangwandern. Hier ist keine Markierung mehr, wir versuchen uns an den vorhandenen Landschaftsmerkmalen entlangzunavigieren.
Gegen Nachmittag sehen wir aus der Entfernung einen Sendemast, der selbst in dieser menschenleeren Gegend für guten Handy-Empfang sorgt. Wir ahnen nicht, dass diese lange Strecke noch vor uns liegt. Es geht hoch und runter. Die meisten in der Gruppe komme damit ganz gut zurecht, bis es am späten Nachmittag noch zwei sehr lange Abfahrten gibt, die bei diesen schwierigen Sichtverhältnissen dann doch für einige Pulkalenker etwas länger dauert. Stephan schafft es, ein Foto zu machen, während ich mit beiden Ski in der Höhe auf dem Rücken liege. Ehrlicherweise macht es aber echt Spaß, so die Berge hoch und runter zu fahren. Man muss nur immer darauf achten, dass das Pulka nicht schneller als man selbst ist. Es wird schon langsam schummrig, als wir eine Straße überqueren. Ganz in der Nähe finden wir einen Platz, wo wir übernachten können. Etwa 500 Meter weiter steht zufällig – wirklich zufällig – erneut eine bewirtschaftete Hütte. Alle, die noch Kraft haben, gehen abends in die Halne-Hütte hinüber und genießen die Getränke und ein paar Teller fettiger Pommes, die hier eine Spezialität sind.

Jetzt geht´s steil nach oben

Am nächsten Morgen ziehen wir die langen Felle auf die Ski, denn die nächsten 5 bis 6 Kilometer geht es berghoch. Da merkt man das Gewicht der Pulka dann doch schon deutlich. Wer da zu viel eingepackt hat, bereut es jetzt!

Uns erwartet wettermäßig ein Wechsel von Sonne, Wolken und Schnee. Wenn Schnee fällt, rast er in der Regel waagerecht direkt ins Gesicht. Genau so etwas wollten wir auf dieser Tour austesten! Heute geht es über viele Seen, die leichter als eine hügelige Landschaft zu gehen sind, denn sie sind flach. Gegen Mittag stoßen wir wieder auf die Kraekkjahütte und damit auf unsere alte Strecke. In der Hütte machen wir eine längere Pause und genießen die Annehmlichkeiten der Zivilisation. Selbst die Plumpsklos hier in der Hütte lernt man zu schätzen. Und eine Tüte Chips mit viel Salz ist ein echter Leckerbissen.

Berghoch geht es auf die gleiche Strecke, die wir auch gekommen sind. Ein Wiedererkennen ist aber nicht möglich, denn die Strecke wirkt heute komplett anders. Nach dem ersten Berg sehen wir noch, wie ein Handschuh in die weite Ferne fliegt. Wir versuchen noch, ihn aufzuhalten, aber bei diesen hohen Windgeschwindigkeiten ist das nicht möglich. Da werden sich im Sommer Wanderer wundern, warum dort so ein einzelner Handschuh liegt.

Was wir wiedererkennen, ist die steile Wand, die wir am zweiten Tag hochgegangen sind. Heute müssen wir hier hinunter, was fahrend nicht möglich ist. Man würde viel zu schnell werden und unkontrolliert die Herrschaft über das Pulka verlieren. Also gehen wir zu Fuß den Berg hinunter, halten das Pulka fest und kommen so sicher unten an.

Am späten Nachmittag finden wir eine schöne Stelle zum Übernachten. Blitzschnell und mit mittlerweile viel Erfahrung steht unser Camp. Dann gibt es eine Sonderaufgabe: heute Nacht könnte es einen Schneesturm geben und wir bauen Schneemauern, um die Zelte zu schützen. So entstehen nicht die angekündigten Schneehöhlen, sondern auf die gleiche Art und Weise viele Schneemauern. Am nächsten Morgen sehen wir, wie wichtig das gewesen ist: vor unserem Zelt haben wir eine 50 cm hohe Schneewehe und die Zelte sind fast komplett eingeschneit. Das haben wir heute Nacht schon gemerkt, denn gegen 5:00 Uhr war es richtig warm im Zelt - als das Zelt komplett vom Schnee überdeckt war. Vorher war es allerdings sehr kalt, und ich brauche an diesem Morgen 10 Minuten, bis ich in meine steifgefrorenen Schuhe hineinkomme.

Als ich vors Zelt trete, erwartet mich ein traumhafter Anblick: der Himmel ist blau, 30 Zentimeter Neuschnee und die knallroten Zelte mittendrin. Traumhaft. Das hatte sich heute Nacht schon angedeutet. Wir waren zu viert zu einem letzten Umtrunk in einem Zelt, als plötzlich das Licht anging: die Wolkendecke riss auf und der Vollmond strahlte über den gefrorenen See. Dadurch wurde die Nacht erst kalt, später durch den Schnee wieder warm.

Das Camp war dann auch wieder schnell abgebaut und machen uns auf den Weg nach Finse zurück. Durch die etwa 30 Zentimeter Neuschnee sind die Spuren anderer Wanderer nicht mehr zu sehen, es ist eine jungfräuliche Schneefläche, über die unsere Gruppe zieht. Noch nie habe ich so gerne gespurt: es ist einfach traumhaft, durch den unberührten Schnee zu gehen, den Wind im Gesicht und den immer wieder blauen Himmel vor Augen. Herrlich. Einmal stehen wir an einem wunderschönen Fleck, als von jetzt auf gleich ein Schneesturm losheult - so schnell kann das gehen. Kurz vor Finse dreht der Wind nochmal richtig auf und der Schnee wird uns wie kleine Steinchen ins Gesicht geschleudert. Sehr zur Freude der zahlreichen Snowkiter, die auf dem See vor Finse über das Eis flitzen.

Wir kommen in der Finsehütte an (das Hotel ist heute wegen einer geschlossenen Gesellschaft nicht zu buchen) und als erstes bestelle ich eine Tüte Chips und ein Bier. Die richtige Belohnung für diese grandiose Tour, die hinter uns liegt. Abends lassen wir uns das „richtige“ Essen schmecken, keine Expeditionsnahrung mehr. Wobei man sagen muss, dass die Expeditionsnahrung tatsächlich sehr gut geschmeckt hat. Ich kenne sie noch von unseren ersten Reisen im letzten Jahrtausend, als sie entwickelt worden sind. Damals waren Bissfestigkeit und Geschmack bei weitem noch nicht so ausgereift.

Den nächsten Tag nutzen wir, um das ganze Material zu sortieren und zu trocknen, die Schuhe wieder abzugeben und als Höhepunkt des Tages hält Hans einen Vortrag über die Mosaic- Expedition, auf der er Sicherheitschef war. Das ist hier genau das richtige Umfeld, um einen solchen Vortrag genießen zu können. Nun können wir uns die Arbeit und die Lebensumstände am Nordpol deutlich besser vorstellen als vorher.

Am Nachmittag geht es mit den ganzen Gepäckmengen zurück nach Oslo. Während wir den Zug schon kennen, ist der Auftritt im Viersternehotel direkt am Bahnhof schon besonders. Da schreiten plötzlich acht bunte und offensichtlich wind- und wettergegerbte Menschen in die Hotellobby, um einzuchecken. Die Pulkas und das viele Gepäck können wir unterstellen und wenig später sitzen wir alle in der Bar und genießen gemeinsam den letzten Abend. Auch hier, obwohl es ein sehr schickes und teures Viersternehotel ist, kostet das Bier zehn Euro.

Bevor es am nächsten Nachmittag mit dem Flugzeug zurück nach Deutschland geht, nutzen wir den Vormittag für einen Besuch im Fram-Museum. Hier sind die Schiffe Gjoa und Fram ausgestellt, mit denen die ersten Nord- und Südpolexpeditionen durchgeführt wurden. Ein sehr beeindruckendes Museum, und genau das richtige für einen Abschluss in Oslo.

Mit neuen Erfahrungen und braungebrannt im Gesicht fliegen wir zurück nach Deutschland.
Unseren gemeinsamen Erlebnissen können wir drei nun diese herausragende Tour hinzufügen. Unsere Enkel dürfen sich schon auf die Geschichten freuen :-)

Vielen Dank an Michael Schmitz für diesen Reisebericht! | Reise im März 2022

Cookie Einstellungen

Wir setzen automatisiert nur technisch notwendige Cookies, deren Daten von uns nicht weitergegeben werden und ausschließlich zur Bereitstellung der Funktionalität dieser Seite dienen.

Außerdem verwenden wir Cookies, die Dein Verhalten beim Besuch der Webseiten messen, um das Interesse unserer Besucher besser kennen zu lernen. Wir erheben dabei nur pseudonyme Daten, eine Identifikation Deiner Person erfolgt nicht.

Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung.